KURZSCHLUSS – Ausstellung mit ortsbezogenen Arbeiten und Interventionen

Schlossgut Finowfurt | Schlossgutsiedlung 9 | 16244 Schorfheide OT Finowfurt

Kurzschluss

Wird ein Ort von Menschen verlassen und dem Vergessen anheim gegeben, beginnt sich das Lebendige des Ortes zurückzuziehen. Die Energie, die ihm durch seine Bewohner*innen gegeben wurde, dadurch, dass sie ihn mit Leben füllten, nach ihren Vorstellungen formten und pflegten, beginnt zu versiegen. Einem Kurzschluss ähnelnd wird der Energiefluss unterbrochen, der einen Ort mit den Menschen verbindet. Verlassen, leblos

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und ohne die Zugabe von Energie durch seine Bewohner*innen, beginnt der Ort seine über die Jahre in seinen Mauern gespeicherte Energie, die ihm durch die Menschen gegeben wurde, zu verzehren. Er beginnt zu verfallen und mit seiner Umwelt zu verschmelzen. Seine individuellen Charakteristika verblassen und er wird zur Ruine, deren ursprüngliche Lebendigkeit nur noch als Erinnerung verbleibt.

Die Endmoränen erspüren, erkunden, intervenieren und erforschen gemeinsam mit Gastkünstlerinnen seit nunmehr 32 Jahren in ihren jährlich stattfindenden Sommerwerkstätten solche alten, stillgelegten Orte und erwecken sie mit Kunst zu neuem Leben. In diesem Jahr geben sie dem Schlossgut Finowfurt und seinem Landschaftsgarten im Eberswalder Urstromtal unter dem Motto „Kurzschluss“ neue Impulse, indem sie den noch vorhandenen Energien des Ortes nachspüren und mit diesen in ihren Werken Kontakt aufnehmen. Mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen nähern sie sich der Architektur und der wechselvollen, wenn vermutlich auch typischen Geschichte des Schlossgutes.

1595 wurde das Gut zum ersten Mal im Erbregister als Lehnschulzengut erwähnt und nach dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert von der Familie Gielsdorf übernommen, die es bis 1805 leitete. Im 19. Jahrhundert wechselten die Besitzer des Gutes durch die schlechte wirtschaftliche Lage nach den napoleonischen Kriegen immer häufiger. 1916 wurde es schließlich vom märkischen Uradelsgeschlecht „von Arnim“ gekauft, die den heutigen Schlossbau veranlassten. Mit 26 Zimmern und einer symmetrisch angelegten Frontfassade, entsprach der Bau ganz der zeitgenössischen Mode. Die Hauptfassade, die ähnlich wie die Gartenseite mit neobarocken Fenstergiebeln verziert war, wurde in der DDR geschliffen und in seine heutige Form gebracht. Der neu erbaute Wohlstand der Familie von Arnim währte jedoch nur sehr kurz, denn in den 1920er Jahren wurde das Schloss fast jährlich an neue Besitzer weitergereicht.

Während des Nationalsozialismus nutzte die Reichsfeuerwehr ab 1938 das Gelände, bevor es 1945 von der Roten Armee übernommen wurde. 1952 wurde das Schlossgut schließlich in ein Volksgut umgewandelt und diente zusätzlich bis 1978 als Lehrlingswohnheim. Nach 1990 erging es dem Ort dann wie so vielen. Der Besitz ging in die Gemeinde über und da das Gelände keinem weiteren Nutzen zugeführt werden konnte, wurde es dem Verfall überlassen. Erst 2015 gab der Verkauf des Schlossgues an Uwe Tietz und Kai Moslé einen neuen Impuls, der 2020 durch Marc Lorenz und Tami Lee als Investoren mit einem umfangreichen Planungskonzept für eine Neubelebung des Geländes versehen wurde. Es ist also 2023 kein gänzlich vergessener Ort mehr, dem sein jahrzehntelanger Leerstand jedoch deutlich in die Mauern geschrieben ist. [1]

Das Schlossgut nicht nur als bloße Hülle wahrzunehmen, sondern es als Teil ihrer Werke aufzufassen und mit ihm zu interagieren, erlaubt es den Endmoränen und ihren Gastkünstlerinnen der wechselvollen Geschichte des Ortes ganz individuell nachzuspüren. Sie erkunden die Bausubstanz, spüren den baulichen Strukturen des Gebäudes nach und befreien die Räume von liegen gelassenen Gegenständen und Materialien. Sie gehen archäologisch, assoziativ, objektiv oder auch ganz subjektiv mit den vorgefundenen Gegebenheiten um. Ihre Installationen, Skulpturen, Malereien, Fotografien und Performances nehmen auf ganz unterschiedliche Weise mit der Architektur und der Topografie des Geländes Kontakt auf. Sie verbinden sich mit dem Raum als realem Ort und erweitern, verändern oder ergänzen ihn. Die Arbeiten sind dabei viel mehr als nur schmückendes Beiwerk, denn sie reflektieren die vorgefundenen Strukturen und erweitern sie um eine gesellschaftliche Komponente. Den Künstlerinnen gelingt es, die im Ort gespeicherten Energien offenzulegen, sodass die Grenzen zwischen dem realen und dem diskursiven, theoretischen Raum zu verschwimmen beginnen. Sie verwandeln die gefundene Energie in eine wirkende Kraft, die sich in ihren Arbeiten offenbart und die zugleich unerlässlich ist, um einen lebendigen Ort zu kreieren. Diese freigesetzte Energie ist eine Antwort auf den versickerten Energiefluss des verlassenen Geländes.

Die Künstlerinnen nutzen sowohl die gefundenen Materialien und Texturen der Räume, als auch die umgebenen geologischen und topografischen Verhältnisse. Sie öffnen metaphorisch und optisch die Mauern des Gebäudes, beziehen die Natur des Schlossparks in ihre Arbeiten ein oder lösen sich sogar gänzlich von der Architektur. Diese Interventionen, die Eingriffe in die dem Verfall anheim gegebenen Räume und Plätze darstellen, ermöglichen es den Ort neu zu entdecken. Man betritt keine leerstehende Ruine mehr, deren Funktionalität in der Erinnerung verblasst, sondern ein wiedererwecktes, lebendiges Gefüge, dessen Energien sicht- und fühlbar werden. Der langsame Verfall wird in Wachstum umgewandelt und die Kunst wird zum Material und kann nur in Verbindung mit dem Ort wahrgenommen werden. Anders als ein Bild, das ganz für sich selbst stehen und dessen Kontext an jedem Ort ersichtlich werden kann, ist der Dialog zwischen den Arbeiten der Künstlerinnen mit den Räumen so intensiv, dass die Werke nur im Kontext mit den ihnen umgebenden Räumen wahrgenommen werden können. Die Künstlerinnen gehen dabei einen ganz individuellen einen Dialog mit dem Ort ein, indem sie ihn historisch, materiell, assoziativ, funktionell, biografisch, gesellschaftlich oder auch politisch befragen. Damit zeigen sie nicht nur verschiedene Perspektiven und Möglichkeiten für die Betrachtung und Wahrnehmung des jeweiligen Raumes auf, sondern bieten diverse Anknüpfungspunkte für individuelle Gedanken und Assoziationen. Sie fordern unseren Blick heraus, indem sie die Sehgewohnheiten und Erwartungen an so ein altes Haus durchkreuzen. Wir werden angeregt uns mit den Strukturen und Materialien sowie den Funktionen der verschiedenen Räume zu beschäftigen, die zum einen die Werke in ihrer Aussagekraft unterstützen und zum anderen ihre eigenen Energien mit einbringen.  Die, durch den Leerstand der vergangenen 30 Jahre unterbrochenen, Energieflüsse des Hauses können erstmals wieder nach langer Zeit an die Oberfläche treten. Deren Wahrnehmbarkeit lässt sich vor allem bei der Erkundung und Betrachtung der Werke nachspüren, die dazu einladen assoziativ und individuell die aufgezeigten Impulse wahrzunehmen und ihnen im Kontext der eigenen Erfahrungen zu begegnen.

Den Endmoränen und ihren Gastkünstlerinnen gelingt es nicht nur den Ort als solchen wieder begeh- und erfahrbar zu machen, sie verwandeln das Innen in ein Außen, die Geschichte in Gegenwart, Immaterielles in Materialität, Formloses in Struktur und leere in lebendige Räume. Dabei wird die Kunst zum Impulsgeber, um die in der Geschichte entstandenen Kurzschlüsse zu überwinden. Sie zeigt nicht nur neue Perspektiven auf, sondern lässt uns ganz partizipativ an ihnen teilhaben. Sie macht Energieimpulse sichtbar, die für die Zukunft des Ortes gemeinschaftlich nutzbar gemacht werden können. Werden vorhandenen Energieflüsse, die im Laufe der Geschichte versickert sind wieder an die Oberfläche geholt, wird nicht nur deren weitere Nutzung ermöglicht, sondern auch deren Vernetzung. Die Künstlerinnen zeigen uns, dass Energie nicht einfach verschwindet, sondern sich verwandelt, verformt und manchmal einfach nur versickert und in Vergessenheit gerät. Wir müssen sie nur entdecken, erforschen und in eine für uns nutzbare Form verwandeln. Hannah Krug, Kunstwissenschaftlerin

[1] Die Geschichte des Schlosses ausführlich nachzulesen in: Hucke, Johannes: Schlossgut Finowfurt. Ein Streifzug durch die Geschichte, Bretten 2022

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Künstlerinnen von Endmoräne: Susanne Ahner, Kerstin Baudis, Ka Bomhardt, Gisela Genthner, Masko Iso, Ingrid Kerma, Angela Lubic, Annette Munk, Barbara Müller, Michaela Nasoetion, Dorothea Neumann, Patricia Pisani, Susanne Pittroff, Antje Scholz, Katrin Schmidbauer

Gastkünstlerinnen: Mariel Poppe, Simone Zaugg, Julia Ziegler

Begleitprogramm:
24. Juni 2023 (Eröffnung) „hängen – geblieben“, Performance im Außenraum von Simone Zaugg
1. Juli 2023, „Energie, her dada mit!“, Performance Elke Postler
9. Juli 2023 (Finnisage), „liegen – geblieben“, Performance im Außenraum von Simone Zaugg