a b g e f a h r e n

Bilddialoge von und mit Christiane Wartenberg (Idee), Renate Hampke, Rotraud von der Heide, Erika Stürmer Alex, Ka Bomhardt, Kerstin Baudis, Dorothea Neumann, Annette Munk und Susanne Ahner von Endmoräne e.V., sowie Marta Ostajewska und Beata Marcinkowska aus Łódź/Polen von der Gruppe Frakcja. Prolog zum Buch von Ka Bomhardt und Christiane Wartenberg, Epilog von Tine Neumann

a b g e f a h r e n
Bilddialoge im Buch gebunden.
Handgefertigt. Themenbezogen frei assoziiert. Analog.

Das Künstlerbuch ist eines der Alternativ-Projekte der – Corona bedingt – 2020 abgesagten Sommerwerkstatt, für das wir, neun Künstlerinnen des Vereins Endmoräne und zwei Künstlerinnen der Gruppe Frakcja aus Łódź/Polen, uns begeistert haben.

Jede Künstlerin beginnt mit einer zeichnerischen Arbeit. Die einzelnen Blätter werden mit Zahlenzetteln versehen. Lose werden gemischt. Lose werden gezogen. Die Reaktion auf das zufällig gezogene Bild generiert eine neue Arbeit. Links beginnt, rechts antwortet. Zusammen gebunden im Buch, begegnen sich die Bildpaare auf den Doppelseiten und sprechen miteinander. Was zählt, ist das Aufeinander-Reagieren, auf die inhaltliche und formale Umsetzung des Wortes a b g e f a h r e n im Bild der jeweils anderen Künstlerin. Es ist die Neugierde am immer anderen der anderen. Es zählt das Interesse für Signale, auf die eine Reaktion erfolgt oder auf die sie nicht erfolgt. Menschliche Kommunikation, ein Dialog findet statt. Die unendlichen Möglichkeiten der Phantasie, des Verstehens, des Diskurses und der Verständigung werden in Bilderketten erkennbar.


Die Blätter sind von hinten, je nach Gutdünken der Künstlerinnen, sparsam beschriftet mit Titeln, Wörtern, Stichpunkten, Materialien, Zahlen. Auch diese Rückseiten bilden im Wechsel mit den Bildpaaren eine Doppelseite. Beim Blättern im Buch funktionieren sie wie eine Pause, als ein retardierendes Moment zwischen den Bildern.

Zeichnungen, Collagen, Malerei, Prints, Farben, Stifte, Ausschnitte, Klebungen, Fotografiertes und eingefügte Fundstücke auf unterschiedlichen Papieren, Pappen, Folien sind da zu sehen. Immer aber handelt es sich um unikate Blätter, handgefertigt von 11 Frauen, die 43 Bildgespräche auf 86 Bildseiten führen.

Es entsteht ein gemeinsam gefertigtes Buch, einem strengen, selbst auferlegten Konzept folgend, in das die Bilder eingebunden und doch frei sind. Ein Zipfel der Vorstellungswelt einer jeden Künstlerin wird hier im Nebeneinander deutlich und gleichzeitig die Bereitschaft, sich in das Blatt der anderen hineinzubegeben, sich von ihm inspirieren zu lassen. Ein Tableau breitet sich aus – das vieldeutige Wort a b g e f a h r e n wird variiert, bis in einen Gleichklang oder Widerspruch getrieben auf ähnlichen und ganz gegensätzlichen Bilderseiten.

Unser Vorgehen ist voller Überraschungen. Es ist vor allem ein Spiel:

Sich dem Wort a b g e f a h r e n nähern und sich wieder entfernen. Es wörtlich nehmen. Es verfremden. Es verwerfen. Seine Umgebung absuchen. Etwas Uner- hörtes finden. Das Wort in andere Bedeutungen und Zusammenhänge ziehen. Es durchdringen. Das Wort in ein Bild umwandeln, es in ein Bild unwiderruflich bannen. Es zwischenzeitlich negieren, verschütten, im Keller parken, es verstecken, es dort verblassend, weil ungeliebt, zurücklassen. Dann dieses Bild zur gegebenen Zeit wieder hervorholen, es aufheben und neu abfüllen. Es geradezu verwöhnen, es föhnen und in Form bringen, damit es endlich das Tanzen lernt und Pirouetten dreht nach der abgefahrenen Melodie aus einer aufgezogenen Dose, ohne Unterlass.

Ein endloses Spiel: Ohne Rücksicht die Dinge beim Namen nennen, sie ohne Bedenken zurechtrücken, bis sie sich zur Wehr setzen, endlich a b f a h r e n, das Weite suchen oder aber verrückt werden in unmittelbarer Nähe von Illustrationen. Die Worte notfalls wie Kugeln in eine bestimmte Richtung stoßen. Zugrichtungen erforschen. Ein sicheres Ziel anpeilen. Auf Fahrräder umsteigen, die sich anderen Wortbildern besser an die Fersen heften können.

Sich an den Bedeutungen, an den Farben des Wortes reiben, sie spiegeln, sie mischen, ins Bild setzen und eine Geschichte über den Vater draus machen. Zeit- schichten aus Transparentpapier einbauen. Träume wie Mitropageschirr servieren. Innehalten auf Stationen. Und warten. Wir stehen auf dem falschen Bahnsteig. Warten auf Erinnerungen, die uns nicht einfallen wollen. Stattdessen Bilder, die sich zusammenballen, sich verfestigen, denen wir nicht entkommen. In Tabellen deutscher Gründlichkeit werden die Worte missbraucht und gegen Doros schwarzen Balken gefahren. Reisen durch Tod. Wir reden uns um Kopf und Kragen, werfen mit Bildern um uns, müssen den Abstand halten in Zeiten des Virenflugs, auf der Suche nach der Seife oder nach dem Bild von einer Seife, die den Wortshit von uns abwäscht. Geschmierte Schienen. Der Wunsch empfängt die Polinnen, um ihnen in Schöneiche – ja, was eigentlich – zu zeigen?

Zwischen Apfelkuchenstücken liegen Blätter mit Zeichnungen. Fast unkenntlich. Vieldeutig. In sommerlicher Hitze. Eichenschatten ergänzen sie. Welten stoßen aufeinander. Zittern. Lachen. Wollen mit Leichtigkeit endlich den versprochenen, den verheißenen Ort finden.

Wir liefern uns aus. 12 kullernde Augen aus Glas verfolgen uns. Sie starren, starren ins wüste Land vor ihnen. Sie stieren uns an. Sie schließen die Augen. Ein Schiff schwimmt vorbei auf zwei versandeten Rinnsalen.
Weg, wohin?

Prolog zum Buch von Ka Bomhardt und Christiane Wartenberg, aufgeschrieben im September 2020